Der soziale Aufstieg Becky Sharps wird in Mira Nairs Vanity Fair vor allem als unterhaltsamer Kostümfilm präsentiert und das Beziehungsgeflecht der Romanvorlage Thackerays zu Gunsten dieser einen Hauptperson aufgelöst. Die Regisseurin versucht nicht nur damit eigene Akzente in ihrer Umsetzung der Geschichte zu setzen, die insgesamt aber nicht überzeugen kann. Hinter den Erwartungen auf eine gelungene Adaption des Klassikers bleibt der Film weit zurück.
William Makepeace Thackeray gehört neben Charles Dickens zu den bedeutendsten englischen Schriftstellern der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Literaturverfilmungen bedienen sich gern des Nimbus großer Autoren und so verwundert es, dass Thackerays Werke nur selten auf der Leinwand zu sehen sind, während kaum ein Jahr vergeht, in dem nicht mindestens eine Dickens-Adaption realisiert wird; in diesem Jahr ist es die David Copperfield-Version von Roman Polanski. Natürlich gibt es Stanley Kubricks Barry Lyndon (1975) und vielleicht lässt sich mit diesem Film das Desinteresse an Thackerays Werken erklären.
Dickens setzt in seinen Romanen auf den Effekt. Das Schicksal David Copperfields, Oliver Twists oder Amy Dorrits vermag uns noch heute zu erschüttern, auch weil Dickens es verstand, die Möglichkeiten des Unterhaltungsromans geschickt zu nutzen. Seine Romane sind zumeist handlungsorientierte und spektakuläre Geschehnisse abbildende Erzählungen. Thackeray arbeitete anders, in erster Linie satirischer, fast zynisch. Die Personen in Vanity Fair (1847/48) etwa werden geradezu vorgeführt: „Vor dem Vorhang“ ist die Einleitung des Romans überschrieben, der Erzähler stellt sich als Spielleiter vor und die Personen des Romans bezeichnet er knapp als Marionetten. In den 1844 zuerst veröffentlichten Memoirs of Barry Lyndon findet sich diese Erzählstrategie noch nicht so explizit, aber Kubrick hat in seiner Adaption gerade diesen Zug des „Thackeray-Stils“ betont. Er lässt Empathie oder auch nur Spannung (in einem herkömmlichen Sinn) gar nicht erst aufkommen und wenn Kubrick auch zahlreiche Handlungselemente der Romanvorlage gekürzt, Personen gestrichen, entscheidende Details verändert hat, so ist ihm doch, obwohl ein ganz eigenes Werk, zugleich eine epische Adaption des Romans gelungen.
Wie Kubrick haben auch die Drehbuchautoren von Mira Nairs Adaption von Vanity Fair – das im Vergleich zu dem 350-seitigen Barry Lyndon mit 1000 Seiten aufwartet – die Romanvorlage entsprechend verändert und gekürzt. Sie haben darin auch, ob bewusst oder nicht, auf Rouben Mamoulians Becky Sharp (1935) zurückgegriffen, der sich schon in seiner Vanity Fair-Version ganz auf eine Hauptperson konzentrierte. Diese Rebecca „Becky“ Sharp (bei Nair: Reese Witherspoon) erfüllt jedoch in Thackerays Roman – wie könnte es bei einer Marionette anders sein! – eine bestimmte Funktion. Der Autor hat seinen Roman als Erzählung der Kontraste aufgebaut: jeder Figur ist eine andere konträr entgegengesetzt; so verhält sich etwa die arme (aber zeitweise reich werdende) Becky zu der reichen (aber zeitweise verarmenden) Amelia wie der egozentrische Amelia-Gemahl George Osborne zu dem fast altruistischen Becky-Gemahl Rawdon Crawley. Diese Liste ließe sich beliebig erweitern, aber im Film bleibt davon ohnehin nicht viel übrig, er unterschlägt keine der Hauptfiguren, wohl aber die spannenden kontrastierenden Verzweigungen: Vanity Fair wird so allein zur Geschichte eines ersehnten und zeitweise geglückten Aufstieges in der Gesellschaft.
Auch sonst verschenkt der Film viele dramatische Vorgaben des Romans. Da ist etwa von einem Ball die Rede – an dessen Ende der Ausbruch der Schlacht bei Waterloo steht. Nicht nur in einem direkten Vergleich mit einigen der größten Ballszenen der Filmgeschichte (hier vor allem zu Bondartschuks Krieg und Frieden, Woina i mir, 1965), in denen Vergangenes oder Kommendes als Ahnung mitschwingt, wird deutlich, wie uninspiriert diese Sequenz bei Nair wirkt. Die Militärs scheinen hier völlig deplaziert auf dem Ball und der Ausbruch des Krieges ist eher eine verwirrende Überraschung; das Politische wird nicht in die Handlung gebunden, es wirkt wie ein Fremdkörper.
Ähnlich ist es mit einer der Veränderungen gegenüber der Romanvorlage. Thackeray, als Sohn englischer Beamter in Kalkutta geboren, verbrachte seine Kindheit in Indien. Der Bezug zur Kronkolonie lässt sich in vielen seiner Werke, auch in Vanity Fair, beobachten. Die indische Regisseurin Mira Nair betont diesen Punkt nun in ihrer Adaption ganz besonders. Aber anders als in ihren früheren sozialkritischen Filmen (Salaam Bombay!, 1988), sondern eher wie in ihrem letzten Film Monsoon Wedding (2001) ist diese interessante Interpretation bei ihr (besonders am Schluss mit der Ankunft Beckys in Indien) zu sehr auf unterhaltende Zerstreuung hin angelegt und der politisch-historische Aspekt mit freundlich-bunter, poppig-musikalischer Gestaltung sogleich wieder in den Hintergrund gestellt worden.
Natürlich führt der Film die Story des Romans weitgehend aus, erzählt von der aufstrebenden Becky, dem erbschleicherischen Pitt Crawley (Bob Hoskins), der reichen Matilda Crawley (Eileen Atkins) – kurz, er erzählt von den Snobs, wie es bei Thackeray nachzulesen ist. Daneben wurden der Handlung Elemente hinzugefügt, die, wenigstens teilweise, übertrieben wirken. So streift es die Grenze zum Kitsch, wenn Becky im Hause ihres vermeintlichen Gönners Lord Steyne (Gabriel Byrne) einen Tanz aufführt, der einem Bollywood-Film entsprungen scheint. Insgesamt bleibt von diesem Vanity Fair-Versuch kaum mehr als das Spiel seiner Darsteller. Vor allem Gabriel Byrne erfüllt seinen in den ersten beiden Dritteln des Films jeweils nur kurz erscheinenden und hier noch stummen Steyne mit einer nahezu diabolischen Ausstrahlung. Bob Hoskins zeigt sich als verarmter Sir Crawley endlich wieder in einer prägnanten (Neben-)Rolle – und die Amerikanerin Reese Witherspoon, die mit der Wilde-Adaption Ernst sein ist alles (The Importance of Being Earnest, 2002) bereits „englische Kostümfilm-Erfahrung“ sammeln konnte, führt Komödiantisches und Ernstes sehr gelungen in ihrer Becky Sharp zusammen.